KP Magazin

Emotional Leadership

Geschrieben von Theo Zichel | 4.8.2025

Klingt weich, ist es aber nicht. 

 

 

Liebe Leserinnen und Leser,

heute sind Transformation, Ambiguität und steigender Leistungsdruck längst Teil unserer Arbeitswelt geworden. Es reicht nicht mehr, Führung über Tools, KPIs und Change-Pläne zu denken und zu steuern. Was oft unterschätzt wird, aber wirklich relevant ist: Veränderung ist nicht nur eine Frage der Strategie, sondern vor allem der individuellen und kollektiven Verarbeitung.

Genau hier setzt Containment an. Gemeint ist die Fähigkeit, emotionale Prozesse bei sich selbst und anderen zu erkennen, aufzunehmen und zu verarbeiten. Die verarbeitende Person übernimmt dabei die Funktion eines „psychischen Containers“.


Ursprünglich aus der psychoanalytischen Entwicklungstheorie stammend, findet Containment zunehmend Eingang in die Führungspraxis. In meiner Forschung zu Leadership und in der Arbeit mit Führungskräften zeigt sich immer wieder: Die Fähigkeit, mit Unsicherheit, Angst und Widerstand im Team umzugehen, ist eine Grundvoraussetzung wirksamer Führung.

 

In diesem dritten Beitrag meiner Promotionsreihe – nach den Artikeln „Lerntransfer“ und „Psychosoziale Abwehrmechanismen“ – betrachte ich Containment als relevantes Konzept für Führungskräfte. Ich zeige, wie es in konkreten Führungssituationen wirkt und wie es sich als Führungsfähigkeit gezielt entwickeln lässt. Der Artikel richtet sich demnach an Führungskräfte, die nicht nur oberflächlich steuern, sondern soziale Dynamik aktiv gestalten wollen.


Was
bedeutet Containment?

Der britische Psychoanalytiker Wilfred Bion hat mit dem Begriff Containment ursprünglich einen Prozess beschrieben, der in der frühen Kindheit eine zentrale Rolle spielt. Wenn ein Kleinkind überfordert ist, etwa weil es Hunger hat, Angst spürt oder sich unwohl fühlt, kann es mit diesen Gefühlen noch nicht sinnvoll umgehen. Es schreit, strampelt und ist „außer sich“.

In solchen Momenten braucht es eine Bezugsperson, die sich dem inneren Chaos des Kindes zuwendet, es aufnimmt, sortiert und ihm eine verständliche, beruhigte Version seiner Gefühle zurückspiegelt. Zum Beispiel: „Ja, du hast starken Hunger. Das fühlt sich unangenehm im Bauch an. Ich sehe, das lässt sich nur schwer aushalten. Du bekommst gleich etwas zu essen, dann wird es wieder gut sein“.

Beim Lesen von diesem Satz hatten Sie vielleicht automatisch eine sanfte Tonlage im Kopf. Kleine Kinder verstehen die Bedeutung der Worte noch nicht, aber sie hören die Ruhe und Sicherheit in der Stimme ihrer Bezugsperson.

Was dabei passiert, ist mehr als nur Trösten. Die Bezugsperson wird zum Container für das, was das Kind selbst noch nicht halten kann.


Darum spielen Kuscheltiere in der frühen Kindheit oft eine wichtige Rolle: „Solange der Teddy da ist, bin ich sicher“ bedeutet psychoanalytisch übersetzt „Solange mein symbolischer Ersatz von Mama oder Papa da ist, bin ich meinen Gefühlen nicht hilflos ausgeliefert“.

Im Laufe der Zeit braucht es diese äußeren Hilfen immer weniger, weil das innere Gegenüber ein stabiler Teil der Psyche des Kindes wird. Wir sprechen hierbei auch von einem inneren Objekt, das die Beziehung zur Bezugsperson repräsentiert.


Was hat das mit Führung zu tun?

Man könnte meinen, das habe mit Führung wenig zu tun. Doch dem ist nicht so.

Menschen erleben in der Arbeit immer wieder Überforderung, z.B. durch Druck, Konflikte, Ungewissheit oder Veränderung. Frustration, Wut und Angst sind in solchen Phasen normal, jedoch oft unausgesprochen.

Führungskräfte, die Containment praktizieren, übernehmen Verantwortung für die emotionale Dynamik im Team. Sie nehmen Spannungen wahr, benennen sie, ordnen sie ein und fördern dadurch psychologische Sicherheit.

 

Wie wirkt Containment in der Führung?

Wie das konkret aussehen kann, zeigt folgendes Beispiel:
Abteilungsleiterin Hannah sitzt mit ihrem Team in einem Krisenmeeting. Die Stimmung ist angespannt, der Druck hoch, ein wichtiger Kunde hat kurzfristig umgeplant. Erste Schuldzuweisungen fliegen durch den Raum, einige schweigen, andere wirken gereizt.

Hannah spürt die Verunsicherung. Doch statt direkt Lösungen zu präsentieren oder zu beschwichtigen, sagt sie: „Ich merke, dass hier gerade viel Frust und vielleicht auch Unsicherheit im Raum ist. Das ist nachvollziehbar und wir schauen gleich gemeinsam, wie wir weiter vorgehen“.

Ein Moment der Erleichterung entsteht. Die Spannung bleibt, aber sie ist benannt, gehalten und wird schließlich bearbeitbar. Genau hier wirkt Containment: Ein Dialog wird ermöglicht, wo sich sonst Rückzug oder Sarkasmus ausbreiten würden.


Wie lässt sich Containment entwickeln?

Containment ist keine angeborene Fähigkeit, sondern eine Haltung, die sich durch Erfahrung, Reflexion und Begleitung entwickeln lässt. Drei Wege haben sich besonders bewährt:

  1. Reflexion im Alltag
    Nach herausfordernden Situationen bewusst innehalten: Was war emotional spürbar? Was hat mich berührt und warum? Ging es um mich und meine Geschichte oder um eine Dynamik im System? Was lief gut und was möchte ich beim nächsten Mal anders machen?
  2. Externe Begleitung
    Supervision und Coaching schaffen den Raum, um eigene Muster zu erkennen und den Umgang mit Spannungen zu schärfen. Gerade im Führungsalltag fehlt oft die Zeit, das eigene Erleben einzuordnen. Ein systemisch-psychodynamisch geschulter Coach kann hier entscheidende Perspektivwechsel ermöglichen.
  3. Kollegiale Fallberatung
    Im begleiteten Austausch mit anderen Führungskräften lassen sich blinde Flecken aufdecken und bearbeiten. Welche anderen Sichtweisen und Lösungsansätze gibt es? Möchte ich diese nutzen und wenn nicht, warum?


Mein Fazit

Containment ist kein „Nice-to-have“, sondern Kern wirksamer Führung.

Wer Emotionen einordnen kann, schafft psychologische Sicherheit.
Wer psychologische Sicherheit schafft, ermöglicht konstruktives Arbeiten.
Und wer konstruktives Arbeiten ermöglicht, erzielt am Ende bessere Resultate.

Bis zum nächsten Artikel, wenn wir uns erneut mit psychodynamischen Themen in der Führungspraxis befassen.

Ihr Theo Zichel

 

Quellen

  • Armstrong, D. (2004). Emotions in organizations: Disturbance or intelligence?
  • Bion, W. R. (1962). Learning from experience.
  • Giernalczyk, T., & Möller, H. (2018). Entwicklungsraum. Psychodynamische Beratung in Organisationen.
  • Kahn, W. A. (2001). Holding environments at work.
  • Kahn, W. A. (2012). The functions of dysfunction: Implications for organizational diagnosis and change.
  • Lohmer, M., & Möller, H. (2019). Psychoanalyse in Organisationen. Einführung in die psychodynamische Organisationsberatung.
  • Petriglieri, G., & Petriglieri, J. L. (2020). The return of the oppressed: A systems psychodynamic approach to organization studies.

 

Entdecken Sie alle Beiträge im Rahmen meiner Promotion

Artikel #1

Lerntransfer: Der Grundstein für nachhaltigen Lernerfolg und dessen Relevanz in der Führungskräfte- und Personalentwicklung

Artikel #2

Psychosoziale Abwehrmechanismen: Unsichtbare Hürden in der Führung und Organisation

 

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