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Prof. Dr. Daniel Keller28.2.2020

Neuro-Leadership

Veränderungen kommunizieren : "Gehirnfreundlich und bedürfnisgerecht" 

 

Liebe Leserinnen und Leser,

Vielleicht haben Sie sich auch schon einmal gefragt, was in den Köpfen Ihrer Mitarbeitenden vor sich geht. Zum Beispiel stellen Sie in einem Team-Meeting neue Ideen zur Umgestaltung der Arbeitsabläufe vor: Es sollen aktuelle Ziele und Meilensteine sichtbar ausgehängt werden – für eine bessere Kooperation und Kommunikation mit der benachbarten Abteilung. Doch am Ende des Treffens steht Ernüchterung statt Aufbruchsstimmung. Wie kann das sein? Sind die Vorschläge nicht auch im Interesse der anderen Anwesenden? Ihre Mitarbeitenden wirken auf Sie, als seien sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sich wirklich (konstruktiv und chancenorientiert) mit der Veränderung auseinanderzusetzen. Vor allem bei der Reaktion von Herrn Steiner (Anmerkung: Dabei handelt es sich um eine rein fiktive Person) schwingt Skepsis, wenn nicht sogar Verweigerung mit. War Ihr Pitch vielleicht doch nicht rational oder nicht überzeugend genug? Sicherlich gibt es noch eine andere Erklärung für die distanzierte Haltung Ihrer Teammitglieder…

Am liebsten möchte man in die Köpfe der Anwesenden hineinschauen, um herauszufinden, wo der „mentale Knoten“ sitzt. So könnte man die Mechanismen verstehen, die Herrn Steiners Denken, Fühlen und Handeln  zugrundeliegen. Und – wenn möglich – behutsam auf diese einwirken, sodass sich seine Reaktion in Richtung Akzeptanz und Flexibilität verändert…

Mit einem solchen Wunsch wären Sie nicht allein!

Daher liefert der Neuro-Leadership-Ansatz durch die Verknüpfung von Management-Themen mit Wissen aus der Neurowissenschaft einen spannenden Einblick in gehirnphysiologische Prozesse, die bei der Interaktion von Führungskräften und Mitarbeitenden ablaufen.


Management-Verhalten wird hier mit bestimmten Veränderungen im Neurotransmitter-Haushalt in Beziehung gesetzt. Durch gezielte Impulse soll man nicht nur ein einzelnes Gehirn, sondern auch ein ganzes Unternehmen weg von etablierten Routinen und hin zu neuen gedanklichen Pfaden führen können. Denn wie ein Gehirn besteht eine Organisation aus einem Geflecht vieler „Nervenzellen“ mit individuellen Informationen, die ständig miteinander in Kontakt stehen und sich gegenseitig anregen oder hemmen. Wahrscheinlich ist bei den beiden Abteilungen aus dem Anfangsbeispiel Letzteres der Fall…

Die Autoren Rock und Schwartz (2006) betonen, dass es mehr braucht als rationale Ideen allein, um verwurzelte, etablierte Haltungen und Verhaltensmuster zu verändern. Essentiell ist ein Verständnis dafür, wie Veränderungsprozesse im Gehirn ablaufen, sowie die Übertragung dieses Wissens ins Change Management. Rock und Schwarz illustrieren u. A. am Beispiel eines Fahranfängers, welche Gehirnareale und Mechanismen aktiviert werden, wenn wir uns neuen Situationen stellen und lernen, mit ihnen umzugehen:

Bestimmt erinnern Sie sich an Ihre erste Autofahrt. Vielleicht zitterten Ihre Hände auf dem Lenkrad, Sie hatten starkes Herzklopfen und die Befürchtung, etwas falsch zu machen. Erst nach einiger Übung legte sich die Anspannung, wenn Sie auf dem Fahrersitz Platz nahmen. Mittlerweile können Sie beim Fahren wahrscheinlich problemlos ein Telefonat über die Freisprechanlage führen. Gehirnareale wie der Frontalkortex, die Amygdala oder die Basalganglien sind an diesen Aktionen maßgeblich beteiligt. Durch Wiederholungen kommt es zu einer sukzessiven Abmilderung der Gehirnaktivitäten in den zuständigen Bereichen. Dies nennt man Habituation (d.h. Gewöhnung). Dadurch werden kognitive Kapazitäten frei, die wiederum im Rahmen anderer Aktivitäten ausgeschöpft werden können. Insgesamt entstehen durch Lernprozesse bis ins hohe Alter neue Verbindungen zwischen Nervenzellen, die „Verdrahtung“ ist im ständigen Wandel. Diese Anpassungsfähigkeit des Gehirns wird als Neuroplastizität bezeichnet. In Stresssituationen reagiert das Gehirn aber zunächst in gleicher Weise wie auf die erste Autofahrt – zum Beispiel dann, wenn eine große Umstrukturierung im Arbeitsumfeld ansteht. Das ist erst einmal unangenehm. Und Unangenehmes vermeiden wir alle instinktiv – nicht aus bösem Willen, sondern ganz natürlich, weil unser Gehirn so funktioniert.

Des Weiteren stellen die Autoren einige starke Thesen auf, um ihre Erkenntnisse zusammenzufassen:

  • „Veränderung tut weh“: Organisationale Veränderung ist unerwartet schwierig, weil sie eine Erfahrung von physischem Unbehagen bewirkt.

  • „Behaviorismus funktioniert nicht“: Bemühungen, das Verhalten anderer über Anreize und Drohungen (d.h. auf der Wirkungsweise von Belohnung und Bestrafung, auf „Zuckerbrot und Peitsche“) basieren, haben auf lange Sicht selten Erfolg.

  • „Humanismus wird überbewertet“: In der Praxis ist es schwierig, Menschen nur durch „gutes Zureden“ und Überzeugungsversuche wirklich in Bewegung zu bringen.

  • „In der Fokussierung liegt die Kraft“: Die bewusste Lenkung der Aufmerksamkeit bewirkt chemische und physiologische Veränderungen im Gehirn.

  • „Die Erwartungshaltung formt die Realität“: Die Vorannahmen der Menschen haben einen signifikanten Einfluss auf das, was sie wahrnehmen.

  • „Die Dichte der Aufmerksamkeit formt die Identität“: Wiederholte, bewusste, zielgerichtete und konzentrierte Aufmerksamkeit kann eine langfristige persönliche Entwicklung bewirken.

Was nehmen Führungskräfte nun aus diesen Thesen mit?

Eine aktive Lenkung der Mitarbeiter-Aufmerksamkeit und die Ermutigung zur Selbstreflexion sind zentrale Führungsaufgaben.


Ein fortlaufendes Ziel im Change Management ist es, ein mentales Modell über das innere Funktionieren der Teammitglieder zu entwickeln, um zu verstehen, worauf ihr Gehirn mit einer Dopamin-Ausschüttung oder aber mit einer Stressreaktion antwortet. Etwaiger Stress äußert sich in Skepsis oder Verweigerung, weil das Individuum eine (subjektive) Bedrohung der eigenen Grundbedürfnisse spürt. Empirisch erforschte Grundbedürfnisse sind zum Beispiel Bindung, Selbstwert, Kontrolle/ Orientierung und Lustgewinn/ Unlustvermeidung (nach Grawe, siehe Peters & Ghadiri, 2013). Auf dieser Basis dieses Modells wird dann überlegt, welches Führungsverhalten diese Grundbedürfnisse „versorgen“ kann, um den Widerstand aufzulösen.

Es gilt, mit wertfreien Leitfragen eben jene Verbindung transparent zu machen, die zwischen dem Widerstand und dem Grundbedürfnis des Mitarbeitenden besteht. Im fiktiven Beispiel von Herrn Steiner aus dem Team-Meeting bedeutet das:  Sie lenken Herr Steiners Aufmerksamkeit weg von rationalen Überlegungen und hin zum inneren Befinden, indem Sie ihn nach seinen Sorgen und Motivationen befragen:  „Ich habe den Eindruck, dass Sie den Vorschlägen skeptisch gegenüber sind. Was beschäftigt Sie gerade? Was befürchten und fühlen Sie in diesem Moment?“

Er entgegnet: „Ich denke ja, dass die Vorschläge sinnvoll sind. Aber ich fühle mich unwohl mit der Art und Weise der Umsetzung. Wir hätten viel früher informiert werden sollen.“ Der Widerstand des Mitarbeiters entsteht wahrscheinlich deshalb, weil sein Bedürfnis nach Orientierung subjektiv zu kurz kam. Sie greifen diese Vermutung auf und haken nach:  „Ich nehme an, dass Sie sich einen besseren Überblick über die Veränderungen wünschen. Liege ich damit richtig? Was braucht es Ihrer Meinung nach in unserem Team, damit Sie sich mit dem Wandel zu mehr Kooperation mit der benachbarten Abteilung anfreunden können? Was wünschen Sie sich von mir? Was können Sie selbst dazu beitragen?“

Im besten Falle bewirken Sie dadurch, dass Sie Herrn Steiner in Bezug auf sein Orientierungsbedürfnis anerkennen und versorgen, nicht nur ein Aufweichen der Blockade-Haltung durch Selbsterkenntnis, sondern den Wandel eines Skeptiker zu einem Verbündeten. Ein solches „Gesehen werden“ fühlt sich nämlich gut an – vor allem im Gehirn. Und der Moment der Einsicht in das eigene Funktionieren, so Rock und Schwartz, ist eine wohltuende und energetisierende Erfahrung, die den Veränderungsprozess beflügelt. Um diese Schubkraft aufrechtzuerhalten ist es (im Sinne der Habituation) wichtig, dass Sie sich im Team gegenseitig daran erinnern, individuell und auch gemeinsam zu reflektieren.

Eine Take-Home-Message lautet:

Als Führungskraft geben Sie nicht den Weg durch das Labyrinth im Kopf der Mitarbeiter vor. Das Einreißen der störenden Wände ist nicht möglich. Das Zurückverfolgen des Weges ist nicht zielführend. Es gilt, die Teammitglieder auf ihrem individuellen Weg zu motivieren und zu stärken, sodass sie aus intrinsischer Motivation heraus vorwärts gehen. Sind sie erst einmal in Bewegung, werden sie positive Erfahrungen machen, die ihnen das Weitergehen leichter machen.

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Herzlichen Dank für Ihr Interesse und bis zum nächsten Mal,
Jan-Hendrik Wiskemann für das Keller-Partner Team

 

Bildquelle: Foto von Ekaterina Bolovtsova auf Pexels

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