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Prof. Dr. Daniel Keller30.9.2021

Kopf oder Bauch?

Warum Leadership Intuition braucht

 

Liebe Leserinnen und Leser,

„Kopf oder Bauch?“ Dieser Frage begegnen wir wohl alle regelmäßig in unserem Alltag. Ob privat oder beruflich, ständig befinden wir uns in Entscheidungssituationen, in welchen der beste Weg nicht auf Anhieb deutlich ist. In diesem Artikel wollen wir der Frage nachgehen, inwiefern wir in solchen Situationen auf unser „Bauchgefühl“ vertrauen können und sollten, welche Risiken dabei eventuell entstehen können, aber auch, welche Vorteile unsere Intuition für uns bereithält.

 

„Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk, und der rationale Verstand ist ein treuer Diener. Wir haben eine Gesellschaft erschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat.“

 

Dieses Zitat von Albert Einstein zeigt, dass er sich bereits im vergangenen Jahrhundert mit der Verhältnismäßigkeit von Kopf- und Bauchentscheidungen auseinandersetzte. Seine Annahme, die Intuition würde in der Gesellschaft immer mehr an Bedeutung verlieren und in ihrer Wichtigkeit den rationalen Entscheidungen weichen müssen, beschäftigt Forschende bis heute. Der Trend zeigt sich beispielsweise in der Personalauswahl: Tests und Interviews werden immer objektiver und Einstellungen erfolgen immer häufiger aufgrund von Leistungstests und Kompetenzmodellen und nicht aufgrund von Sympathie im Vorstellungsgespräch (mehr dazu erfahren Sie auch in unserem Blogartikel Modernes Recruiting – Kompetenzmodelle als Leitfaden für Personal- entscheidungen). Doch sollten wir diesen Verlauf nicht auf all unsere beruflichen Entscheidungen projizieren. Denn ein Personalauswahlprozess unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von unseren Alltagsentscheidungen: er wird geplant, es existieren festgelegte Auswahlkriterien und letztlich profitiert die Organisation am meisten von der Leistung eines Bewerbers.

Im Gegensatz dazu ist es uns gerade in Situationen mit einer Vielzahl beteiligter, zum Teil komplexer Variablen oft nicht möglich, alle Einflussfaktoren einer Entscheidung zu erkennen bzw. zu berücksichtigen. Nehmen wir beispielsweise die Entwicklungen während der Corona-Pandemie. Zu Beginn war es für jeden von uns eine neue Situation, niemand konnte verlässliche Vorhersagen über den Verlauf der Epidemie treffen und es gab keinerlei Erfahrungswerte, auf welchen Verhaltensempfehlungen hätten getroffen werden können. Dies ist ungefähr so, als ob Sie mit einem Schnellzug mit 300 km/h auf einen schwarze Wand zurasen und nicht wissen, ob sich dahinter ein sicherer, schienengeführter Tunnel befindet oder die Katastrophe mit einer nicht vorweg zunehmenden Anzahl von Toten wartet.

Genau wie Albert Einstein unterteilt der Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman in seinem Bestseller „Schnelles Denken, langsames Denken“ (2011) den menschlichen Entscheidungsprozess in zwei Kategorien. Wie der Name bereits verrät, ist System 1 für „schnelle“, unbewusste und automatische Prozesse verantwortlich. System 2, als „langsames“ System hingegen lässt uns intensiver und tiefergehend über Dinge nachdenken. Er ist der Meinung: Intuition stelle eine Form von „wiedererkennen“ dar und erfordere somit Erfahrung.

Anknüpfend daran formuliert Olivier Sibony, Professor in Paris und gemeinsam mit Kahnemann Autor des Bestsellers „Noise“ (2021), entscheidende Voraussetzungen für eine intuitive Entscheidung. Laut ihm sollten sich Menschen nur dann auf ihr Bauchgefühl verlassen, wenn:

  • das Umfeld vorhersehbar und regelmäßig ist,
  • die Person im entsprechenden Bereich „erfahren“ ist,
  • die Person sich der Konsequenzen ihrer bisherigen Entscheidungen bewusst ist.

Da diese Punkte nur selten alle gleichzeitig in vollem Umfang erfüllt sind, folgert Sibony, dass Menschen sich nur dann auf ihre Intuition verlassen sollten, wenn das Ergebnis der Entscheidung nicht allzu wichtig ist.

Doch ist dies die einzig mögliche Sichtweise auf die Bedeutung intuitiver Entscheidungen? Wir sind der Meinung: Nein! Denn es existiert auch eine weitere, viel vertrauenserweckendere Sichtweise auf die Macht unseres Bauchgefühls, die sowohl im Kontext von Unternehmensführung als auch von Mitarbeiterführung handlungsleitend sein kann.

Prominent vertritt der Psychologe Gerd Gigerenzer Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung folgende These:

Menschen mit langjähriger Erfahrung haben eine gute Intuition dafür entwickelt haben, was das Gegenüber will, ohne dass dies explizit ausgesprochen wird. Wir verstehen unser Gegenüber also ohne Worte, das kommt uns wohl allen bekannt vor. Nicht allzu selten wird doch unser „erster Eindruck“ einer Person, basierend allein auf unserem Bauchgefühl, bewahrheitet.


Es gibt eine Vielzahl guter Gründe, die uns darin bestärken sollten, öfter auf unser Bauchgefühl zu vertrauen und nicht jede Entscheidung bis ins Unendliche zu zerdenken:

  • Die Welt um uns herum und unser in ihr stattfindendes Leben sind nie zu 100% vorhersagbar. Pläne werden immer wieder durchkreuzt und nicht immer funktioniert auf Anhieb alles genau so, wie wir es uns ursprünglich vorgestellt haben. Gerade als Führungskraft werden Sie diese Situation sicherlich kennen. In Abhängigkeit des Marktes, der Kunden oder auch Ihrer Mitarbeiter müssen Sie immer wieder spontan reagieren und in der Lage sein, Ihre Pläne den aktuellen Gegebenheiten anzupassen.

  • Wir sind gezwungen, mit ungewissen Situationen umgehen zu können. So zum Beispiel auch in der Entwicklung der Corona-Pandemie. Genauso wie für jeden von uns, war es auch für unsere Politiker eine völlig unbekannte und bisher nie-dagewesene Situation mit der sie nicht nur gezwungen waren umzugehen, sondern zeitgleich auch noch Handlungsvorschriften für die Bevölkerung vorlegen mussten. Dabei konnten Sie sich zwar auf wissenschaftliche Prognosen und Fakten berufen, aber wie sich diese tatsächlich auswirken und entwickeln werden, konnte niemand exakt vorhersagen. So wurde auch der berufliche Alltag für viele von uns auf den Kopf gestellt. Umstellungen auf Home-Office, neue Wege der Kommunikation und damit auch eine neue Art und Weise der Führung wurden plötzlich notwendig, ohne dass Sie als Führungskraft sich darauf tatsächlich hätten vorbereiten können.

  • Pros und Contras einer rationalen Entscheidung sich nicht immer eindeutig quantitativ zu gewichten. Wenn Sie beispielsweise zwischen zwei Job-Angeboten wählen müssen, können Sie zwar Faktoren Gehalt, Standort und Aufstiegsmöglichkeiten zwischen den verschiedenen Arbeitgebern vergleichen, aber welcher Faktor für Sie persönlich welchen Wert hat, kann Ihnen niemand vorschreiben und entscheidet letztlich Ihr Bauchgefühl.

  • Rationale Entscheidungen benötigen oftmals zu viel Zeit. Nicht nur, dass die beliebten Pro-Contra Listen nicht ganz einfach in ihrer Auswertung sind, sind sie und viele andere Entscheidungsfindungsprozesse mit einem erhöhten Zeitaufwand verbunden. Immer wieder denken wir über Argumente für beide Seiten nach, wir möchten uns Meinungen anderer Menschen einholen oder liegen teilweise nächtelang wach, weil unsere Gedanken schlicht nicht aufhören zu kreisen. Sollten Sie noch recht neu in Ihrer Führungsposition sein, mag die höhere Entscheidungsgewalt in manchen Momenten beängstigend oder überfordernd wirken. Freilich darf, ja muss diese Macht einem Beitrag zum Ganzen und dem Organisationszweck dienen. Oftmals gilt es jedoch Entscheidungen zu treffen für die Sie wenig Zeit haben, um zumindest die Ihnen bekannten Eventualitäten abwägen zu können. Da helfen Ihnen reflektierte Bauchentscheidungen, also Ihre Intuition.

  • Logik kann für uns ebenfalls irreführend sein. Eine Vielzahl psychologischer Studien vergleicht Kopf- mit Bauchentscheidungen und immer wieder stellen die Forscher fest: Emotion schlägt Verstand.

Aus all diesen Argumenten zieht Gigerenzer den Schluss, dass Intuition und Logik nicht zwingend widersprüchlich sein müssen. Ganz im Gegenteil: Den größten Nutzen sieht ein jeder von uns, wenn wir beide in Ergänzung zueinander verwenden.

Geschenk und Diener, wie Einstein sie nannte, sollten also beide mit Bedacht verwendet und nicht einer durch den anderen ersetzt werden.


Handeln Sie also nicht leichtfertig und unüberlegt, lassen Sie sich aber auch nicht für alle Entscheidungen unendlich viel Zeit.
Und falls Sie bei einer Entscheidung doch einmal nicht auf Anhieb weiter wissen, stehen wir Ihnen gerne beratend zur Seite und unterstützen Sie mit unserer Expertise.

 

Herzlichen Dank für Ihr Interesse!
Kira Jächel mit Prof. Dr. Daniel Keller von Keller Partner

 

Titelbild: Foto von Tumisu auf Pixabay.

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