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Prof. Dr. Daniel Keller31.1.2022

Der Wille zum Selbstwissen

Die Quantified Self Bewegung 

 

Liebe Leserinnen und Leser,

neues Jahr, neue Vorsätze – sportlicher werden, früher schlafen gehen, produktiver sein, gesünder leben, abnehmen – mit Sicherheit ist auch einer Ihrer Neujahrsvorsätze darunter. Besonders zum Jahresbeginn begegnet uns immer mehr Werbung zu diesem Thema. Der Markt für Computerprogramme, Geräte und Apps zur Selbstvermessung boomt. Apple Watch, Fitnesstracker, Schrittzähler sowie zahlreiche Habit-Tracker-Apps auf Ihrem Smartphone sollen Ihnen den Einstieg in ein gesünderes und fitteres Leben erleichtern und Ihre Produktivität steigern. Die zunehmende Verfügbarkeit von tragbaren Geräten und Tracking-Apps hat zur Entwicklung dessen geführt, was als „Quantified Self Bewegung“ (QS) bezeichnet wird.

Nehmen wir Linda in den Blick: Linda (33 Jahre) hat sich zum Vorsatz genommen, einen gesünderen Lifestyle zu entwickeln. Wenn sie Sport macht, trackt sie ihre Zeit mit Ihrer Fitnessuhr und hält ihre Fortschritte in einer App fest. So kann sie sich auch zeitgleich mit anderen vergleichen, die ebenfalls die App nutzen. Wenn sie kocht, macht sie ein Foto von ihrem Essen und postet es auf Instagram. Natürlich inklusive Rezept und kcal-Angaben, so können sich andere von ihr inspirieren lassen. Fast jede ihrer Mahlzeiten dokumentiert sie so. Linda ist Self-Tracker. Sie gehört zu der Gruppe der Menschen, die über den eigenen Körper penibel Buch führt und über ihre Fortschritte virtuell mit anderen im Austausch steht.

In unserem neuen Beitrag wollen wir mit Ihnen schauen, was hinter der QS steckt, welche Potenziale diese Bewegung bietet, aber auch kritisch hinterfragen, welche Risiken sie birgt.

Die QS nahm 2007 in San Francisco ihren Anfang, als der Journalist Gary Wolf den Blog „Quantified Self“ gründete. Inzwischen ist die Seite zu einer zentralen Organisationsplattform für Gruppen geworden. Die Idee ist „self knowledge through numbers“ (Nafus und Sherman, 2014), also die Selbsterkenntnis durch Zahlen. Gary Wolf begründet QS wie folgt: „Wir nutzen Zahlen, wenn wir unser Auto tunen wollen, chemische Reaktionen analysieren, den Ausgang von Wahlen vorhersagen. Wir nutzen Zahlen, um Produktionsstraßen zu optimieren. Warum nutzen wir Zahlen nicht auch für uns selbst?“. Mit Hilfe von digitalen und technischen Tools sollen alltägliche Körperaktivitäten, Verhaltensweisen und andere biometrische Aspekte des Alltagslebens ermittelt und in Form von Zahlen und Visualisierungen sichtbar gemacht werden. Die neuen technischen Möglichkeiten sollen fortan die Black-Box „Körper“ öffnen.

Versprochen werden, durch den geschaffenen Zusammenhang zwischen Zahlen und Verhaltensweisen, der Erhalt von Gesundheit, Verhaltensänderungen und eine „objektive“ Kontrolle über die Lebens-, Selbst- und Körperführung.


Ähnlich einem Spiegel sollen uns die erfassten Daten eine Möglichkeit bieten, über uns selbst zu reflektieren: Habe ich mich so viel bewegt wie geplant? Habe ich so viel Wasser getrunken, wie ich wollte? So erfasst ein schmales Armband an Ihrem Handgelenk Bewegungsinformationen, misst Ihren Puls, protokolliert Ihren Schlaf und warnt Sie vor zu langen Ruhephasen. Die Daten werden Ihnen an Ihrem Smartphone als Übersicht dokumentiert und in grafischer Form präsentiert. Erreichen Sie die Ziele, die Sie sich gesetzt haben, belohnt Sie die App mit Urkunden. Ein extra Motivationsbooster ist für viele zudem die Möglichkeit des Vergleichs mit anderen App-Usern oder Freunden. Hintergrund des Effekts sind sogenannte Feedbackschleifen, die durch Bewusstmachung von Verhalten eine Verhaltensänderung begünstigen.

Seit 2012 ist die QS auch in Deutschland angekommen. Florian Schumacher, der die Bewegung in Deutschland eingeführt hat, sagte in einem Interview auf der Web-Konferenz „Republica“:

„Ich lerne gewisse Bereiche meines Lebens besser kennen und finde heraus, wie ich dort besser werden kann.“


Heute gibt es weltweit über 100 Gruppen, die sich zum Austausch von Erfahrungen, Methoden und den neuesten Technologien zur Erfassung treffen. Mitglieder der Bewegung veranstalten in 35 Ländern weltweit in rund 130 Städten regelmäßig sogenannte „Meetups“. Die Gruppen dienen dem Austausch und der Vernetzung der Anwender, Entwickler und Anbieter digitaler Produkte.

Welchen Nutzen solche Selbstmessungen mit sich bringen können Sie sich bestimmt vorstellen.

Wesentliche Vorteile sind vor allem folgende:

  • Ungesunde Lebensgewohnheiten können aufgedeckt und verändert werden, was zu einer allgemeinen Gesundheitsförderung beiträgt.

  • Sportlern kann die Ermittlung von verschiedenen Körperwerten bei ihrer Leistungsoptimierung und Regeneration helfen.

  • Es wird eine allgemeine Stressreduzierung ermöglicht, da Stressfaktoren genauer identifiziert werden können, indem zum Beispiel die Schlafqualität optimiert wird.

  • Suchtkranken wird eine gezielte Reduzierung und eine Kontrolle der Sucht (z.B. des Rauchens) ermöglicht.

  • Es ermöglicht eine bessere medizinische Versorgung von chronisch Kranken, da diese ganzheitlich gemonitort werden können.

  • Zu guter Letzt besteht auch ein Spaßfaktor darin, seine Fortschritte festzuhalten und mit denen anderer zu vergleichen.

So viele positive Aspekte die Bewegung mit sich bringt, sollten Sie auch immer die andere Seite der Medaille betrachten. QS wird in Deutschland teilweise sehr kritisch aufgenommen. Fragen der Datensicherheit, der Überwachung, des fahrlässigen Vertrauens in Daten oder der Suchtgefahr werden unter anderem als Kritikpunkte aufgeführt. Gerade die Tatsache, dass Selbst-Tracking der Suchtkontrolle dienen kann, aber auf der anderen Seite gleichzeitig selbst zu einem Suchtfaktor werden kann zeigt, wie schnell (Neben-) Wirkungen verschwimmen.

Visualisierungen über das Selbst geben einerseits neue Antworten, werfen aber andererseits auch neue Fragen auf. Fragen nach der eigenen Normalität, nach der Bewertung von sich selbst und seinen Aktivitäten. Was macht mich aus? Sind es wirklich die Anzahl der Schritte auf meiner Uhr oder die Tatsache, dass meine Produktivität diese Woche im Vergleich zur Letzten um 5% gestiegen ist? Wann wird zu viel Wissen also zur Belastung? „Wir sollten uns fragen, was durch die Messung verloren geht“, schreibt der Philosoph Robert Crease in der New York Times. Auch den Messmethoden steht er kritisch gegenüber: „Wie kann man messen, ob man das richtige Messinstrument nutzt?“. Auch das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) macht auf einige Risiken des Trends aufmerksam. So messen zum Beispiel sogenannte Körperfettwaagen zwar das Gewicht des gesamten Körpers, aber nur den Fettbereich bis zum Bauchnabel und nichts darüber.

Wie bei jeder Entwicklung ist es letztlich wichtig, sich auch Gedanken über mögliche Schattenseiten dieser zu machen. Das bedeutet nicht, dass wir Entwicklung ablehnen, ganz im Gegenteil. Seien Sie sich nur Ihrer Möglichkeiten bewusst, die Perspektive gelegentlich zu wechseln und Sachverhalte aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.
Eines ist klar:

Self-Tracking ist Teil der Technisierung unseres alltäglichen Lebens und dementsprechend Teil unserer und Ihrer Zukunft.


Wenn Sie sich bewusst mit der QS Auseinandersetzen, kann sie Ihnen nicht nur bei Ihrer persönlichen Entwicklung weiterhelfen, sondern auch auf der beruflichen Ebene Ihr Leben vereinfachen, indem Sie mithilfe diverser Apps nicht nur Ihr Stresslevel regulieren sondern auch Ihre Produktivität steigern können. Kontaktieren Sie uns gerne, falls Sie an einer Übersicht von Apps, die zur Verhaltensänderung beisteuern, interessiert sind.

Sie wollen sich mehr mit dem Thema Quantified Self auseinanderzusetzen? – Dann besuchen Sie gerne die offizielle Seite der Quantified Self Bewegung in Deutschland und besuchen Sie unsere eAcademy. Hier finden Sie weitere Informationen zu verwandten Themen.

 

Wir bedanken uns für Ihr Interesse!
Rabea Seiler mit Prof. Dr. Daniel Keller für Keller Partner

 

Titelbild: Foto von Ketut Subiyanto auf Pexels